Nachts um halb drei. Eine dämmrig beleuchtete Tankstelle im Irgendwo. Am Rande einer größeren Stadt. Mein Fahrer hatte mich drei Tage durch seine Heimat geführt.
Am ersten Tag bat ich ihn, seine liebsten Orte anzufahren. Ausgesuchte. Geheime. Ich sah schöne Orte. Zusammen mit Touristen aus aller Welt. Ich sah inszenierte Orte. Von Wohlhabenden, meist Zugezogenen, originalgetreu hergerichtet. Ich hatte mir anderes erhofft. Um diese Orte zu finden, hätte ein „wallpaper of inspiring, design-led travel“ genügt.
Am nächsten Tag habe ich die Führung übernommen. Bin meinem Instinkt gefolgt. „Was willst Du dort?“, fragte mein Fahrer, „da ist doch nichts“. Doch.
Da waren der Wald und die Felder seines Onkels, wo dieser im Schweiße seines Angesichts Kork erntete, mit althergebrachten Techniken staubige Böden in fruchtbare verwandelte, im Schatten der Bäume ausruhte, mit einem verschmitzten Lächeln im gegerbten Gesicht. Er könnte noch zufriedener sein, wenn das immer so bleiben könnte. Wünschte er sich vor allem auch für seine Kinder.
Da waren Dörfer, mit Menschen, deren Blicke und Gesten oft auffallend anders waren als die meisten tags zuvor erlebten. Zunächst zurückhaltend. Dann einladend. „Komm hinzu. Trink einen Schnaps mit uns. Auf das Leben. Greif zu. Essen ist genug da.“ Ich empfand das befreiend. Entspannend. Nicht nur den Schnaps. Die fehlende Fassade. Das Absichtslose. Das Natürliche. Abends lud mich mein Fahrer zu sich nach Hause ein. „Bitte lerne meine Familie kennen.“
Erfrischt und erleichtert bin ich nachts in meine Koje gefallen.
Am letzten Tag fuhren wir an die schroffe Westküste. Kein Vergleich zur weichgespülten Südküste. Ich stieg auf Berge, wo Ziegen den Pfad angelegt hatten. Besuchte Strände, an denen kein Parkplatz für Trubel sorgte. Die Luft dort war eine andere. Das Licht war intensiver. Das Bad im Meer nach herausforderndem Abstieg einzigartig. Herber. Gestochener. Klarer. Die vereinzelten Menschen, die ich traf und sah, sie waren mehr bei sich. Vertrauten mehr auf sich.
Abends lud ich meinen Fahrer zum Essen ein. „Zeig mir bitte das beste Restaurant der Gegend“. Die Gastgeber, blendend quirlige Menschen, wie aus einem Nike-Werbespot. Die Gäste, bunt gemischt. Fröhlich. Schwelgend. Gackernd. Locker. Voll im Flow. Krasser Kontrast zum bisherigen Tag.
Ich gesellte mich dazu, genoss den Abend, lernte wundervolle Menschen kennen. Nicht einen Einheimischen. Essen und Weine waren hervorragend. Matt, zerzaust und satt stieg ich ins Auto.
Zum Abschluss war es Zeit das Auto voll zu tanken und meinen Fahrer zu bezahlen. Ich torkelte müde zum Geldautomaten. Auf dem Weg fielen mir fünf an ihren testosteron-strotzenden Boliden lehnende Männer auf. Sie kamen mir lauernd vor. Unentschieden. Sie schienen mir zu überlegen, was sie von einem offenbar fremden, angetrunkenen, womöglich wohlhabenden Ausländer, mitten in der Nacht auf dem Weg zum Geldautomaten, halten sollten. Mein Eindruck halt.
Ich änderte meinen Kurs. Ging direkt auf den mir ersichtlichen Alpha zu. Die Spannung nahm elektrostatisch spürbar zu. Gleiche Pole näherten sich.
„I am Martin“, ich reichte ihm meine rechte Hand zum Gruß. In Zeitlupe gab er mir einen kräftigen Handschlag: „You are strong man“.
„You too“, erwiderte ich, „have a good night“.
„You too”, gab er zurück. Wir lächelten uns an, ich drehte mich um, holte Geld, bezahlte die Tankrechnung und stieg zu meinem nervös wartenden Fahrer ins Auto.
Er fuhr los. Ich war am Einschlummern. Er fragte zögerlich: „Who ... are ... you?“
Fotos 1, 3: Ferhat Deniz Fors, Christopher Alvarenga auf Unsplash; alle weiteren avantur
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